Eine Ikone des deutschen Fotojournalismus
Jeder Fotograf wünscht sich einmal im Leben ein Bild für die Ewigkeit zu schießen. Hier die Geschichte zu meinem Foto, das in den vergangenen 25 Jahren eine sogenannte Medienikone wurde
Ahnungslos am Tatort
Am Morgen des 30. November 1989 wird um 8:30 Uhr im hessischen Bad Homburg der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, von Terroristen bei einem Bombenanschlag auf seinen gepanzerten Dienstwagen getötet.
Als festangesteller dpa-Fotograf habe ich an diesem Tag meinen ungeliebten Frühdienst und bin bereits irgendwo nördlich von Frankfurt unterwegs, als mein Eurosignal (Piepser) ertönt.
Zügig steuere ich die nächste Telefonzelle an, um im Bildbüro Frankfurt anzurufen. Am Telefon sagt mir der Bildbüroleiter, ich solle mal nach Bad Homburg in die Nähe der Taunustherme fahren. Dort sei nach Hinweisen eines Informanten ein „Anschlag auf eine Schutzperson“ verübt worden. Mehr ist nicht bekannt, außer, dass es wohl erst vor wenigen Minuten passiert wäre.
Ich fahre sofort los und habe nur wenige Minuten Fahrtzeit vor mir. Auf dem Weg dorthin geht mir eigentlich nichts besonderes durch den Kopf, denn ich bin seit 1982 ein sogenannter Blaulichtfotograf und im Umgang mit solchen Meldungen routiniert. Bei so etwas denke ich in der Regel zuerst an die Parksituation für mein Auto, damit ich nicht so ellenlange Fußwege vor mir habe.
Offensichtlich bin ich so rechtzeitig unterwegs, dass im kleinen Städtchen Bad Homburg der Verkehr noch völlig normal verläuft. Als ich in die Straße zur Taunustherme einbiege, sehe ich bereits auf dem bergab verlaufenden Weg ein Auto quer zur Fahrbahn stehen. Bis dorthin passiere ich keine einizige Polizeisperre.
Es ist still und es sind nur wenige Menschen auf der Straße, kein Großaufgebot an Polizei, keine Feuerwehr und Rettungsdienst an der „Unfallstelle“ sichtbar. Daher parke ich mein Auto auf dem Bürgersteig nur wenige Meter entfernt. Ich möchte den anrückenden Einsatzkräften nicht im Weg stehen.
beklemmende Stille am Wrack
Diese unbeschreibliche Ruhe macht mich stutzig. Daher beschließe ich erstmal, den Ort zu Fuß und ohne Kameras zu erkunden. Das mache ich immer so, um nicht gleich als Pressefotograf aufzufallen und Menschen mit meinen Kameras aufzuschrecken oder verscheucht zu werden. Ich verpasse ja kein Fotomotiv, denn es passiert gerade sowieso nichts.
Als ich mich in der beklemmenden Stille dem Wrack auf mehrere Meter nähere, meine ich zu sehen, dass Männer mit Waffen in der Hand um das zerstörte Auto laufen. Durch die aufgesprengte hintere Tür des Mercedes erkenne ich auf dem Rücksitz einen leblosen menschlichen Körper. Sofort ziehe ich mich ein wenig verunsichert wieder in mein Auto zurück und schalte das Radio an. Es läuft nur Musik. Ich überlege, was hier gerade vorgeht und warte die weitere Entwicklung ab.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch keine Ahnung was passierte und vor allem nicht, wer da auf dem Rücksitz in den Trümmern liegt. Die ursprüngliche Meldung hieß nur „Anschlag auf Schutzperson“.
Die Farb-Negative
Da sitze ich nun in meinem Auto und starre auf diese unwirkliche Szene vor mir. Was ich da durch die Windschutzscheibe sehe und später auch fotografieren werde beschreibt die Süddeutsche Zeitung 20 Jahre später so:
„Es ist eines der prägendsten Bilder in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Ein einst gepanzerter, nun zerfetzter und verkohlter Mercedes, der an diesem klaren, sonnigen Herbsttag noch Stunden nach der Tat quer auf der Straße steht.“
Ahnungslos, denn Mobilfunktelefone hatten wir nicht
Die nun folgenden Minuten sind fast nicht mehr in meinem Gedächtnis. Ich weiss nicht wie lange ich im Auto abwarte. Ich erinnere mich auch nicht an die Ankunft des BKA/LKA, der Feuerwehr oder eines Rettungsdienstes. Alles ist irgendwie anders als bei üblichen Einsatzstellen. Ich meine auch, dass sich niemand dem Wrack nähern darf. (Anm.: Inzwischen ist bekannt, dass man damals Angst vor einer zweiten Bombe hatte).
Andere Versionen der Szene
Irgendwann verlasse ich dann den selbstgewählten Schutz meines Autos und hole aus dem Kofferraum meine beiden Leica-Kameras R4 mit einem Leica 280mm/2.8 Teleobjektiv und Leica 35-70mm Zoom und beginne zaghaft zu fotografieren. Mir wird noch immer nicht bewusst, welches bedeutsame Ereignis ich in diesem Moment auf dem Kleinbildfilm festhalte. Mobiltelefone haben wir Fotografen noch nicht. Ich bin schlichtweg ahnungslos und erledige einen Job.
Erst später beim Eintreffen der ersten Kollegen erfahre ich, dass vor mir im Auto einer der einflussreichsten Männer der Bundesrepublik Deutschland liegt – getötet durch einen technisch präzisen Bombenanschlag, womöglich durch die RAF.
Warum überlebt mein Foto, obwohl es nicht das einzige ist?
Im Gegensatz zu den zahlreichen anderen Tatort-Fotos weiterer Fotografen sind auf meinem Bild keine Schaulustigen und irgendwelche Absperrungen zu sehen. Das Autowrack liegt in einem gleichmäßigen Licht auf der Straße und der Betrachter hat die freie Sicht auf die stille Situation nach dem Anschlag. Die Wucht der heftigen Detonation der 7 Kilo-Bombe springt einem sofort ins Auge, obwohl das Trümmerfeld nicht riesig ist. Auch das Fahrzeug des hinterherfahrenden Personenschutzes passt gut in die Bildkomposition. Symbolträchtig ist Polizei zu sehen, aber die einzelnen Beamten sind nicht persönlich zu erkennen.
Zudem hatte ich das Glück, auf der richtigen Seite des gesprengten Fahrzeuges zu stehen (Beifahrerseite) und auch noch von der linken Straßenseite zu fotografieren, sodass der Verlauf (Fahrtstrecke) im Hintergrund zu erkennen ist.
Das Hauptmotiv ist gestochen scharf hervorgehoben, der leicht unscharfe Hintergrund unterstreicht dies zusätzlich. Es ist ein Farbfoto. Nicht jeder Pressefotograf hatte zu dieser Zeit einen Farbfilm in der Kamera.
Für Layouter ist es kein Problem, das traditionelle Kleinbild-Format 3:2 (36x24mm), ein Quadrat oder das moderne 16:9 Widescreen-Format anzuwenden. Selbst im Hochformat wirkt die Aufnahme noch.
Die Tatsache, dass ich für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) diese Fotos gemacht habe, trägt zu dem hohen Verbreitungs- und Bekanntheitsgrad natürlich ebenfalls erheblich bei. In den Archiven unserer Partneragenturen AP, AFP und epa und liegt das Bild ebenfalls digital bereit.
Verwendung in Büchern und Filmen
Es existiert auf dem Farbnegativfilm nicht nur eine einzelne Aufnahme (Schnappschuss), sondern eine komplette Sequenz. Ich hatte ja Zeit, da ich alleine war und sich niemand an mir und meiner Kamera störte. Später legte ich dann in meine zweite Kamera einen Farbdiafilm ein. Auf den Negativen sieht man sehr schön, wie sparmsam damals auf Film fotografiert wurde.
Das original dpa-Funkbild wurde nie digital archiviert
Am Tag darauf, dem 1. Dezember 1989, erschien auf den weltweiten Titelseiten eine Variante der Szene, die heute völlig unbekannt ist. Sie ist vom gleichen Standpunkt etwas später in einem etwas anderen Licht entstanden und zeigt im Hintergrund zwei Polizisten, die mit einer Radfahrerin auf der Straße stehen. Am Herrhausen-Mercedes steht eine Gruppe Männer in Mänteln, unter Ihnen der damalige hessische Innenminister Milde.
Von diesem dpa-Funkbild, dass auf der ganzen Welt in den Zeitungen veröffentlicht wurde, existiert zwar das Negativ, aber es wurde bis jetzt noch nicht digitalisiert. Das dpa-Sendesystem (electronic picturedesk von Crossfield) konnte bis 1991 nur maximal 500 Bilder speichern, danach löschten sich die akustischen Daten eigenständig. Fotos wurden in Tönen (AM/FM/120) per Langwelle transportiert und gespeichert.
Erst sieben Jahre später, als ab 1996 begonnen wurde das dpa-Bildarchiv systematisch zu digitalisieren, wurden die Negative herausgesucht und die Dokumentare entschieden sich für eine andere Version, eine bessere Variante, in das elektronische Archiv zu übernehmen. Außerdem war, aus welchen Gründen auch immer, das Original des gesendeten Bildes nicht als solches markiert. Lediglich eine mit einer Schere eingeschnittene kleine Kerbe am Rand des Streifens deutete darauf hin. Trotzdem eine richtige und wertvolle Entscheidung!
Das dpa-Funkbild (Original)
Der von mir belichtete Dia-Film wurde sofort am Nachmittag dem Magazin „Stern“ exklusiv verkauft und nach Hamburg verfrachtet. Er kam nie wieder zurück und es gibt davon vereinzelt Bilder im Umlauf, die mich NICHT als Urheber ausweisen, obwohl sie meinem „look“ entsprechen. So war das halt damals…
Was macht diese Fotografie zu einer (Medien)Ikone?
Eine Ikone steht für ein Leitbild, einem Symbolbild für ein Ereignis. In meinem Fall für den Terror der Rote Armee Fraktion (RAF), bzw. genauer für die 3. Generation der deutschen Terrorgruppe und für den Bankier Alfred Herrhausen.
Eine Ikone wird von einer ganzen Generation erkannt, schnell berühmt und über Jahre immer wieder publiziert. Sie hat eine überzeugende Komposition, ist rentabel, wird auf Titelseiten eingesetzt und sehr häufig gedruckt. Die Veröffentlichungen erstrecken sich über alle Medienarten wie z.B. Zeitungen, Illustrierten, Bücher, Filme oder auch Plakate und Internet.
Beispiele vielfältiger Veröffentlichungen (1)
Exklusive Konkurrenz?
Nebenbei angemerkt: Mit etwas Verwunderung lese ich im Internet immer wieder von zwei anderen Pressefotografen, über die in Medien berichtet wird, dass sie als erste Bildberichterstatter am Tatort waren und exklusive Bilder schießen konnten. Diese Bilder sind nirgendwo zu sehen. Selbst in den Berichten über sie tauchen ihre Fotos nicht auf….
Dennoch freut es mich, dass sich dieses eine Foto gegen alle anderen Fotos durchgesetzt hat und für einen Teil der Deutschen Nachkriegsgeschichte spricht – auch wenn mein Name selten dazu geschrieben wird. Ich weiss ja, wer es fotografiert hat.
(Kai-Uwe Wärner, Juni 2014)